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Jeanne Dielman, 23 quai du Commerce, 1080 Bruxelles

Trailer

Spielfilm von Chantal Akerman, mit Delphine Seyrig (Jeanne Dielman), Jan Decorte (Sylvain Dielman), Henri Storck (erster Kunde), Jacques Doniol-Valcroze (zweiter Kunde), Yves Bical (dritter Kunde) u.a.

Belgien/Frankreich 1975, DCP, F/d, 201’, ab 16 Jahren

Jeanne Dielman ist Witwe, Mutter eines sechzehnjährigen Sohnes sowie Gelegenheitsprostituierte. Minutiös-routiniert kümmert sie sich um die Bewältigung ihres Alltags in einer einfachen Wohnung in Brüssel. Auf diesem engen Raum kocht sie, hilft ihrem Sohn bei den Hausaufgaben und empfängt ihre Kunden. Emotionen lässt sie keine zu – bis die Routinen subtil gestört werden und ihre Bewältigungsstrategie zusammenbricht.

«Jeanne Dielman» ist ein formal konsequent inszeniertes Porträt des feministischen Kinos – und seit 2022 auf Platz 1 der berühmten Kritiker:innen-Liste der Filmzeitschrift «Sight and Sound», die vom British Film Institute herausgegeben wird. Diese Platzierung war eine grosse Überraschung: Seit 70 Jahren wird alle zehn Jahre in der Kritiker:innen-Gilde über den besten Film der Geschichte abgestimmt und die Ergebnisse in besagter Liste publiziert – vor der Abstimmung 2022 erreichte noch kein einziger Film, bei dem sich eine Frau für die Regie verantwortlich zeigte, einen Platz in der Top 10. Nun ist dies «Jeanne Dielman» mit Platz 1 auf eindrückliche Art gelungen und löst damit «Vertigo» von Alfred Hitchcock aus dem Jahre 1958 ab. Letzterer erklomm die Spitze bei der letzten Umfrage 2012 und war seinerseits der Nachfolger von Orson Welles’ «Citizen Kane» aus dem Jahre 1942, der die Liste wiederum von 1962 bis und mit 2002 durchgehend anführte – sowohl in der Kritiker:innen- wie auch in der Regisseur:innen-Liste. In letzterer ist «Jeanne Dielman» 2022 übrigens auf dem 4. Platz geführt. Die Wahl löste eine Debatte aus: Die eine Seite frohlockte und lobte Mut und Progressivität der Kritiker:innen, die andere kritisierte, dass es sich um eine politische Wahl handelt – dem «woken» Zeitgeist folgend.

«Dass ‹Jeanne Dielman› ein Meisterwerk und ein würdiger Spitzenreiter ist, ist unbestreitbar und kein Geheimnis, der Film wird seit Jahrzehnten gerühmt und studiert. Dass weniger Leute ihn gesehen haben als ‹Citizen Kane›, liegt daran, dass ‹Jeanne Dielman› eher in Programmkinos läuft als in grossen Kinosälen (oder als TV-Wiederholung) – und dreieinviertel Stunden lang ist. (…) Viele rühmen ‹Jeanne Dielman› als den grossen feministischen Film des vergangenen halben Jahrhunderts. Dass er nun an die Spitze der Top Ten gerückt wurde, mag bewirken, dass er öfter gezeigt und von mehr Leuten gesehen wird. Und dass man mit ihm klären könnte, was Feminismus eigentlich bedeutet, im Kino und generell – wie Glamour und Alltag, Einsamkeit und Lust zusammenspielen. In seiner magischen Konsequenz steht ‹Jeanne Dielman› dem vorherigen Spitzenreiter ‹Vertigo› in nichts nach.» (Fritz Göttler, Tages-Anzeiger, 9.12.22)

Di, 31. Okt., 18.30 – 19.30 Uhr: Filmvortrag «Sehen lernen mit Jeanne Dielman» von Johannes Binotto. Im Anschluss um 19.45 Uhr: Film «Jeanne Dielman».
Kombi-Tickets Vortrag und Film nur im Kino Cameo lösbar (online nicht möglich): CHF 20 (CHF 16 für Mitglieder).